Über Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek

Thomas Bernhard - eine Einschärfung, herausgegeben von Joachim Hoell, Alexander Honold, Kai Luers-Kaiser

Konferenz zu Thomas Bernhard im Literaturhaus Berlin.

Vortrag. 18. September 1998

 

 

 

Entstellung. Plädoyer für ein düsteres Weltbild

 

Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek erzeugen in ihren Werken jeweils einen bestimmten Ton.

Beim Lesen ihrer Bücher muß man auch hören.

Der Geistesmensch Bernhards spricht.

Jelinek läßt in ihren Romanen eine Stimme das literarische Geschehen kommentieren. Sie spricht von oben herab.

Bernhard sagt: „Ich habe einen Rhythmus im Kopf.“

Der spezifische Ton charakterisiert ihre literarischen Formen und es gelingt diesen beiden Autoren, einen politischen Anspruch mit einem künstlerischen Anspruch zu verbinden, so daß die gesellschaftskritische Dimension in der Literatur aufgeht, ohne die Kunst zu beschädigen. Der Grund aus dem Jelinek und Bernhard diese beiden Ansprüche so gut miteinander verbinden können, liegt in einem düsteren Weltverständnis und einem düsteren Menschenbild, das sie radikal auf die Spitze treiben. Jelinek und Bernhard sind Kritiker und Analytiker, aber nicht als Besitzende von Moral und Wahrheit. 

Ihre analytischen Medien, der Geistesmensch Bernhards und die kommentierende Stimme Jelineks beinhalten Schuld, Feindseligkeit und Ohnmacht.

Der besondere Ton von Jelinek und der besondere Ton von Bernhard werden von einer entstellten Sprache hervorgebracht. Aber beide Schriftsteller entstellen die Sprache nicht beliebig, sondern nach bestimmten Regeln.

 

Untersucht man den Ton beziehungsweise die Entstellung in ihrer psychologischen Beschaffenheit, so findet man, daß die Regeln der Entstellung der Neurose entstammen.

 

Die Entstellung hat ihren Sinn darin, daß mit ihr Widersprüchliches erfaßt werden kann. Das Widersprüchliche muß der Sprache eingetrieben werden.

Elfriede Jelinek sagt: „Man muß die Sprache foltern, damit sie die Wahrheit sagt.“

„Man muß die Sprache selbst zwingen, die Wahrheit zu sagen und ihren Ideologiecharakter preiszugeben.“

Und.

„Man muß sich natürlich vor einer großen Eindeutigkeit hüten, wenn man die Dinge in der Kunst abhandelt und nicht essayistisch oder in theoretischen Aufsätzen, weil man sonst auch wieder Kitsch produziert. Man muß versuchen, die Dinge so zu umschreiben, sie so zu verzerren, daß sie zur Kenntlichkeit entstellt werden.“ (sagt Jelinek).

Es bedarf der Zweideutigkeit, weil die Sprache Ambivalenz erfassen muß. Kitsch ist lückenlos. Aber die Lücke ist eine Notwendigkeit, wenn man sich der Wahrheit nähern will. Bernhard und Jelinek begeben sich, um schreiben zu können, in die Neurose. Bernhard bedient sich zur Entstellung der Melancholie, Jelinek des Sadismus.

 

Wie funktioniert die Neurose in einem Text. Zunächst in Bernhards Text. Oberflächlich gesehen zwängt sie die Figuren in ein Gesetz. Der Geistesmensch muß genauso sprechen und handeln, wie er eben spricht und handelt: muß feindselig sein, muß haßvolle Lamenti von sich geben und sich zum Schluß selbst anklagen, muß sich in Widersprüche verstricken und an Selbstmord denken. In dieser Art des Handelns, Denkens und Sprechens des Geistesmenschen zeigen sich Symptome und Dynamik der Melancholie. Unterschwellig enthüllt die Dynamik der Neurose ein Menschenbild, auf das sich der Autor bezieht.

 

Bernhards Protagonisten tragen alle Züge des Melancholischen, beziehungsweise haben Symptome der Melancholie: Die Symptome der Melancholie sind bestimmten Bereichen der Persönlichkeit zugeordnet. Dem vegetativen Bereich, dem Bereich des Denkens, des sozialen Verhaltens, des Gefühls.

Fast alle Geistesmenschen leiden unter vegetativen Symptomen, wie Schlaflosigkeit oder dem Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Ihr Denken ist ein ständiges, sich verzehrendes Grübeln um den Sinn des Daseins in der Finsternis des Universums. Alle Bereiche der Existenz werden erfaßt und in den Strudel des Grübelns hineingezogen. Natur und Kunst, Kultur und Technik, Wissenschaft und Politik. Mit jedem Denkschritt wird noch mehr Schwärze, noch mehr Unglück und Lächerlichkeit entdeckt.

Das Prinzip der Melancholie ist die Hemmung. Fast alle Geistesmenschen haben sich, typisch für die Hemmung der sozialen Kontakte, in einsame Gebäude zurückgezogen. Sie leiden unter Arbeitshemmungen.

Dem Arzt in Watten gelingt es nicht, seine Papiere zu ordnen, die Ich-Erzähler in Ja und Beton und Konrad in Kalkwert haben Schreibhemmungen, die sie daran hindern, ihre Studien zu Papier zu bringen.

Die Dynamik der Melancholie ist eine Abfolge von Ressentiment und Schuld. Ein Teufelskreis, in dem das eine das andere nach sich zieht und vergrößert, zu Selbsthaß führt und zur Selbstzerstörung. Die Geistesmenschen haben die höchsten Ansprüche an sich selbst, an denen sie meist scheitern. Die Scheiternden hassen sich um so mehr und denken an Suizid und Tod.

So klagt sich der Maler Strauch in Frost einer Sucht zum Unerreichbaren an, die ihm alles verdorben habe. Seine künstlerischen Versuche bezeichnet er als Geschwüre. Seine Bilder hat er verbrannt. Sein Denken ist auf den Tod gerichtet.

Dem Haß folgt das Schuldgefühl. Murau sagt in Auslöschung, daß man nur hasse, weil man im Unrecht sei. Haß entstehe aus einem Schuldgefühl. Und den Haß, den er auf seine Familie empfindet, richtet er nun gegen sich selbst. Und er sagt, er tue in Wirklichkeit nichts anderes, als sich selbst zu zersetzen und auszulöschen: "Wache ich in der Frühe auf, ist es mein erster Gedanke, das zu tun, an meine Zersetzung und Auslöschung zu gehen, mit Entschiedenheit.“

 

Wenn man die Melancholie der Protagonisten Bernhards aufzeigen kann, dann ist damit auch das Menschenbild in Erscheinung gebracht, das die Neurose in sich konzentriert. Unschwer ist zu erkennen, daß der Melancholiker ein Mensch ist, der getrieben wird von Schuldgefühlen und Haß. Und daß wir es hier mit dem Bild eines schuldigen und feindseligen Menschen zu tun haben. Es geschieht einem, wenn man Bernhard liest, daß die neurotische Entstellung so weit geht, eben so konsequent ist, daß man die Identifikation mit der Figur aufgeben will. Man war gerade noch dem Geistesmenschen als einem brillanten Kritiker der Gesellschaft zugetan, der hinter die Fassaden schaut, man hat sich gerade noch gut amüsiert, da geht der Geistesmensch zu weit, verstrickt sich in Widersprüche und ist selbst nicht besser, als diejenigen, die er kritisch unter die Lupe nimmt. Und das eben muß so sein. Der Autor verweigert seiner kritisierenden Figur den Status der Unschuld und Reinheit, und man muß sich als Leser eingestehen, daß ein anderer Status unglaubwürdig, kitschig, unhaltbar wäre. So käme man darauf, daß man selbst ein Bedürfnis hat nach einer Form, wie Bernhard sie herstellt.

 

Ebenso wie Thomas Bernhard verweigert Elfriede Jelinek in ihren Texten Unschuld oder moralische Maßgaben.

Während die Protagonisten Bernhards zwischen dem Anspruch zur Weltverbesserung einerseits und eigener Schuldigkeit und Haß andererseits hin und hergerissen sind, zeigt die sadistische Kommentarstimme in Jelineks Werken in sich keine Ambivalenz. Sie hat sozusagen immer Oberwasser, weil sie sadistisch ist, und sich deshalb in einer dominanten Position, das heißt in einer Machtposition befindet. Aber genauso, wie der Geistesmensch bei Bernhard Verwirrung stiftet, wenn er in seinem Haß über die Strenge schlägt, so stiftet der sadistische Kommentar Verwirrung. Das hat seinen Grund darin, daß dieser Kommentar Opfer und Täter in gleicher Weise sadistisch behandelt, ja eben aus der sadistischen Position heraus behandeln muß. Das ist sozusagen der Kern dieser Entstellungsmethode. Was aber steckt dahinter? Welche Bedeutungen kann uns die Dynamik des Sadismus noch enthüllen? Die sadistische Aggression ist eine Antwort auf Angst. Eine Angst, die Kontrolle zu verlieren. Sie dient der Erlangung der dominanten Position und kompensiert das Gefühl der Machtlosigkeit bzw. der Ohnmacht. Ohnmacht, Aggression, kein Bedauern.

Wie funktioniert der Sadismus in einem Text.

Der Roman Lust von Elfriede Jelinek, ist ein Werk, daß große Irritationen bis Ratlosigkeit ausgelöst hat. Es geht darin um ein Paar: Der Mann ist ein Fabrikant, die Frau eben nichts mehr als seine Gattin. Sie haben einen Sohn. Das Verhältnis ist bis in die Sexualität hinein ein Gewaltverhältnis, in dem der Mann erwartungsgemäß dominiert. Da sich die sadistische Stimme ebenfalls in der dominanten Position befinden muß, befindet sie sich in der des Mannes. Das ist so lange nicht irritierend und es besteht die Möglichkeit der Identifikation mit der Stimme, wie sie damit in der Lage ist, die gewalttätige Macht des Protagonisten zu entlarven. Die Erwartungshaltung ist dann aber die, daß auf die Entlarvung von Gewalt auch eine Solidarisierung mit der mißhandelten Frau erfolgt. Sie erfolgt aber nicht. Auch in anderen Romanen als Lust irren die Opfer, die Verunglückten, die Toten, die Erniedrigten und Mißhandelten unbedauert durch den Text. Nimmt die Stimme sich ihrer an, so müssen auch sie sadistisch werden. Der Kunstgriff in Lust ist der, daß die Frau, die sich zunächst als ein Opfer männlicher und patriarchaler Gewalt anbietet, nicht als wirkliches Opfer gelten kann. Sie ist masochistisch und sie steckt die Schläge, die Erniedrigung und die stupide Art, mit der sie sexuell benutzt wird, gleichgültig, wie eine Strafe, die ihr zukommt, ein.

Auch wenn man sich beispielsweise als feministische Leserin sehr darum bemüht, sich an die Entlarvung des Gewaltverhältnisses zu halten und vielleicht ein wenig belohnt wird, da die Geschichte doch eine Tragik hat, nämlich wenn die Frau ein Verhältnis mit einem jungen Mann anfängt und von ihm verraten wird, zu trinken anfängt und schließlich den Sohn umbringt. Aber man kann sich doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Autorin jegliche Solidarität hartnäckig verweigert. Denn sie läßt das Tragische nicht gelten, das heißt es gibt in ihrem Schreiben kein Bedauern. Nachdem die Frau ihren Sohn umgebracht und in den Bach, wie Jelinek schreibt „abgetrieben“ hat, heißt es im Roman abschließend:

„Die Mutter lebt, und bekränzt ist ihre Zeit, in deren Fesseln sie sich windet.“

Man denkt an ein Insekt im Spinnennetz.

 

Ebenso wie Bernhard sich konsequent an die Regeln der Melancholie hält, so hält sich Jelinek konsequent an die Regeln des Sadismus. Sie hat selbst gesagt, daß es in ihrer Literatur kein Bedauern gäbe, daß sie scheinbar eine sadistische Freude darüber entwickle, „daß die Menschen wirklich zu allem fähig sind.“ Ein Bedauern wäre der Vergleich dessen was ist, mit einem Ideal, auf das man sich beruft. Dieses Ideal aber ist verloren. Erkennt man, verborgen hinter der sadistischen Position das Gefühl von Ohnmacht und Angst, so stößt man auf das Weltbild von dem aus Elfriede Jelinek schreibt, das Bild des ohnmächtigen Menschen.

 

Zu der Stimme in ihren Romanen, sagt Jelinek, sie stelle einen objektivierenden Kommentar dar. Die Neurose als Mittel der Entstellung, als Regel zur Erzeugung einer literarischen Form ist mit einem Vorgang der Objektivierung verbunden. Zunächst ist die Neurose verstanden als Pathologie, etwas, das zur Verallgemeinerung nicht taugt. Autor und Leser objektivieren sie. Der Autor, indem er die Neurose zu einem Mechanismus der Entstellung macht, indem er sie benutzt, indem er damit eine Absicht verfolgt, nämlich die ein Moralisieren zu vermeiden.

 

Wie objektiviert der Leser, wenn er den Autor nicht mißverstehen will.

Diejenigen Leser Bernhards sitzen einem Mißverständnis auf, die ihn direkt beim Wort nehmen wollen.

Bernhard schreibt in Die Ursache: „Meine Heimatstadt ist eine Todeskrankheit“.

Ein Journalist fragt ihn: „Ist das nicht ein wenig übertrieben?“

Die Frage zielt auf einen Inhalt ab, der in dieser Unmittelbarkeit nicht gegeben ist. Die Kommunikation der bernhardschen Protagonisten gehört zu dem System der Melancholie.

Der Leser objektiviert die Neurose, indem er sich mit der Form, die der Autor gefunden hat identifiziert.

 

Wenn diese Form vermeiden soll, daß der Autor von der Position der Moral aus schreibt, wozu er sich außerstande sieht, muß sich der Leser, will er sich mit dieser Form identifizieren, ebenfalls außerstande fühlen, diese Position einzunehmen. Glaubt der Leser prinzipiell an die moralische Ordnung der Gesellschaft, und ist er auch nicht bereit, seine Position zeitweilig zu verlassen, muß es zum Mißverständnis kommen. Sowohl Bernhard als auch Jelinek haben eine Notwendigkeit darin gefunden in die Neurose zu tauchen, um schreiben zu können. Schreiben zu können und so authentisch wie möglich zu sein.

 

 


© Doris Paschiller


ENTSTELLUNG.

PLÄDOYER FÜR EIN DÜSTERES WELTBILD


Zu

Thomas Bernhard und

Elfriede Jelinek


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