Staybutton

Die Pflerabel war ein Beitrag zu dem Buch Sinn und Kunst der Pflege von Hajo Eickhoff, einer Publikation der Teunen Konzepte GmbH, 2012





Staybutton – eine Pflerabel

 

Mein Vater war Herrenschneider. Er fertigte Anzüge und Mäntel für seine Kundschaft wie auch für seine Familie und hatte ein kleines Atelier, nicht weit von unserer Wohnung entfernt, in dem ich ihn gern besuchte. Das Leben mit einem Vater als Schneider bestand darin, oft zu meinem Unmut, schon früh, schon als Kind, Träger von Maßanzügen sein zu müssen. Aber es bestand auch aus einer Zauberwelt des Handwerks und seiner Philosophie. Diese war so etwas wie ein Kodex der Qualität der Kleidungsstücke. Zur hohen Qualität eines Mantels gehörte beispielsweise, dass jeder Knopf mit einem Unternähknopf, auch Gegenknopf genannt, versehen war. »Diese Verbindung«, sagte mein Vater, »von Knopf und Gegenknopf ist unschlagbar: They are the champions«, summte er vor sich hin. »Der Gegenknopf«, sagte er, »ist unscheinbar, wie du siehst, aber dennoch fügt er sich wunderbar in die Gestalt etwa eines Mantels ein und ist eben das Zeichen einer hohen Qualität. Kaufe niemals einen Mantel ohne Gegenknöpfe.« Er behauptete, ohne sie würden die Knöpfe, einer nach dem anderen, zuerst die in der Spannung des Sitzens, schnell locker und gingen oftmals in der Hektik des Alltags verloren. Der Gegenknopf aber halte den Knopf, halte ihn aus der Spannung heraus und beide gemeinsam schützten so das wertvolle Tuch vor dem Zerreißen. Der Gegenknopf habe die äußerst wichtige Aufgabe, nicht nur für den Frontknopf, sondern für den gesamten Mantel zu sorgen, ihn zu pflegen und so seine Funktionen zu erhalten. Mein Vater liebte solche Schlüsse, die verdeutlichten, wie ein kleines hintergründiges, unscheinbares Ding eine große Wirkung hatte, für Überraschungen und Staunen sorgte und mit seiner Logik augenblicklich Vertrauen bildete. Der Gegenknopf repräsentierte sozusagen die Logik der Pflege, der Sorge und des Schutzes der Dinge und auch des Menschen. Die Welt war für meinen Vater gut mit Gegenknöpfen. Und bis heute trage ich eine von ihm gefertigte Jacke mit jenen Champions: Knopf und Gegenknopf.

 

Geräuschlos und gleichmäßig schwebten die Gondeln bergauf. Während er die Straße zum Ortsausgang erreichte, schien es ihm, als würden sie das Geröll des Gebirges hinauf kriechen, bevor sie in der Ferne kaum noch zu erkennen am Horizont verschwanden. Er würde die Gondelbahn zur Alm nehmen. Seit vier Jahren war er ein pensionierter Pflanzenkundler, ein Geobotaniker, um genau zu sein, der gern durch die Wiesen spazierte, die sein Blick ordnend aufgriff, die seinen Füßen eingeprägt waren aus der intensiven Zeit seiner professionellen Untersuchung der Gebirgsflora, die wuchs und blühte, die er glaubte zu hüten, wie ein Schäfer seine Schafe, indem er sich unermüdlich mit ihr beschäftigte, ihr lauschte, sie beschnupperte und berührte sie fotografierte, sie bezeichnete und erkannte und sie beim Namen nannte – Wundklee und Schöllkraut, Johannes- und Leinkraut, Enzian und Arnika, Königskerzen, Blutweiderich, Malve, Eisenhut und Ochsenzunge, Thymian und Minze, Seifenkraut, Augentrost und Beerenklau, Knabenkraut und Frauenschuh.

 Als er die Seilbahn erreicht hatte, löste er eine Karte für die Auffahrt zur Hütte. Ein freundlicher, viel jüngerer Mann fragte ihn, ob er auch die Rückfahrt lösen wolle. Das wollte er nicht. Er wollte zu Fuß zurück. »Man benötigt eine dosierte körperliche Anstrengung pro Tag. Das ist gut für das Herz«, sagte er sich. Der junge Mann lächelte, als hätte er die Gedanken des Pflanzenkundlers gelesen, der gleich seine Geschicklichkeit unter Beweis stellte, als er die Gondel bestieg, die zwar langsam fuhr, aber nicht anhielt. Er nahm Platz und schaute hinaus. Das Tal und die Häuser des Ortes, von dem aus er vor einer halben Stunde aufgebrochen war, entfernten sich, wurden kleiner, während die Weite der Landschaft sich entfaltete. Er dachte plötzlich an den Tod. Als würde er ihm ins Auge sehen, ohne jedoch zu erschrecken. Er war in der Stille vorhanden und in der Weite, wo alles seine Ordnung zu haben schien, wo aber kein Mensch mehr zu erkennen war. Der Pensionär war plötzlich dankbar, für seine Selbstständigkeit, die er solange wie möglich erhalten wollte, und er wollte nicht zürnen, wenn er schwächer würde. Er müsste nur verstanden werden und er wollte nicht allein sein. Er trug seine alte Jacke, die groben Hosen und festen Stiefel mit gutem Profil, die er seit jeher zum Wandern anzog. Den Schuhen hatte er heute eine gute Portion Fett verabreicht und sie poliert, dass sie glänzten. An seiner Jacke hatte sich allerdings ein Knopf gelockert, den er jetzt skeptisch – da war er ganz der Sohn des Schneiders – betrachtete. Er hatte gestern Abend keine Lust dazu gehabt, ihn zu befestigen. Ein wenig vertraute er auf die Konstruktion mit dem Gegenknopf. »You can sew an additional stay button on buttons that are put under particular strain. A stay button is a second button that is approx. 1/3 smaller, and is attached on the wrong side of the fabric at the same time as the outer button«, zitierte er sein digitales Dictio­nary, mit dem er seine Merkfähigkeit trainierte. Der Gegenknopf (= staybutton) war eine nachhaltige Konstruktion, die den Knopf sicher noch einen Tag halten würde. Er sprang leichtfüßig, zumindest tat er so, aus der sich weiter bewegenden Gondel, verließ die Station, beschritt tatkräftig seinen Weg und atmete tief die wunderbare Luft. Die Sonne beschien die geliebte Alm und ließ ihre Schönheit noch intensiver zur Geltung kommen. Die Blumen leuchteten Weiß, Orange Gelb, Magenta und Blau. Der Geobotaniker bückte sich nach dieser und jener Pflanze, diesem und jenem Kraut, hin und wieder machte er ein Foto. Er sah in der Ferne Wanderer mit Stöcken und sogar eine Frau einen Kinderwagen schieben. Er traf auf Männer, welche die Wasserausleitungen des Weges reinigten, sodass ihm wieder einmal bewusst wurde, dass es an diesen Wegen viel zu tun gab und es freute ihn, dass man die Wege pflegte, damit er sicher vorankam. Er grüßte die Männer mit ausgesuchter Freundlichkeit, um ihnen zu zeigen, wie sehr er ihre Arbeit schätzte. Später setzte er sich auf eine Bank, die zu einer Hütte gehörte, in den Schatten eines Baumes, um seine Mahlzeit einzunehmen. Brot, einen Apfel und Wasser. Er sinnierte darüber, dass es Orte gab, von denen aus man viele Wanderer sah und dann wieder Strecken auf denen man niemandem begegnete. Beides ergab seinem Empfinden nach eine gute Ausgewogenheit zwischen Gemeinsamkeit und für sich sein, die ihm sehr gefiel. Auch gefiel ihm, dass es nicht nötig war, in die Karte zu sehen, die Strecke war gut ausgeschildert. Glücklich und zufrieden wanderte er ein paar Stunden lang über die Alm. Dann wurde es Zeit, den Rückweg anzutreten, den er beschlossen hatte zu Fuß hinabzusteigen. Er musste, so weit er sich erinnerte, vor Erreichen der Station links abbiegen und kam auf den Weg, der ihn durch einen Tannenwald in den Ort zurückführte.

 Nun fand er zunächst einen etwas verrotteten Wegweiser, der ihn misstrauisch machte. Und schließlich nach einer Reihe beherzter Schritte, die er gegangen war, schien ihm, dass nicht nur der Wegweiser, sondern auch sein langjähriger Abstiegspfad ziemlich heruntergekommen war. Er spürte, dass der Weg ihm eine hohe Konzentration abverlangte, er war holprig und feucht. Aber er hasste es, aufzugeben, einen einmal gefassten Plan umzustoßen. Er wollte vorsichtig sein. Das hieß einfach, sich besonders zu konzentrieren, keinen Fehler zu machen, Fehler waren hier nicht erlaubt. Und er hatte schließlich Erfahrung. Er fühlte, dass er ins Schwitzen geriet. »Jey, jey, jey«, rief er aus, als er auszurutschen drohte, »Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht.« Er rutschte ein wenig mit dem Geröll und tappte in schlammige Pfützen. Er hielt sich an einem sich ihm entgegenstreckenden Ast fest. Und er musste sich, glücklicherweise von niemandem beobachtet, mit den Händen auf dem Boden abstützen, also den aufrechten Gang aufgeben und kriechen. Er setzte sich auf seinen Hosenboden. Und er meinte verstopfte Wasserausleitungen zu sehen. »Zur Not habe ich mein Mobiltelefon«, sagte er sich. Hin und wieder hatte der Weg eine Stufe, aus geflochtenen Ästen mit Kies gefüllt. Baumwurzeln hatten sich aus der Erde gehoben. Die Sonne gelangte nicht hierher, um das Wasser verdunsten zu lassen. Das war also die Situation. Es waren zwei anstrengende Stunden, die so vergingen, dann war er im Tal. Er und auch seine Hose hatten die kleine Rutschpartie einigermaßen überstanden. Er war noch einmal davon gekommen. Aber er musste sich tadeln. Schließlich kamen in den Bergen häufig Unfälle vor, die etwas damit zu tun hatten, dass Menschen sich selbst und die Situation falsch einschätzten oder ein zu hohes Risiko in Kauf nahmen. Und er dachte daran, dass man sich um den Weg kümmern müsse, hatte dann aber den Eindruck, dass dieser Weg und sein Abstieg ins Tal ihm etwas sagen sollten.

 Als er in seiner Unterkunft ankam und sich seine Jacke auszog, bemerkte er, dass er den Knopf, dessen Lockerheit ihm schon beim Anziehen der Jacke aufgefallen war, verloren hatte. »Schade«, sagte er. Auf der Innenseite der Jacke war noch der Gegenknopf. Dieser kleine tapfere Freund. »Du bist nicht Schuld«, sagte er, »ich bin es, ich müsste die richtigen Bedingungen schaffen«.

 »Ja«, sagte der kleine Knopf zu sich, »so ist es, ich kann nur dann für den großen Knopf da sein, ihm den Rücken freimachen und ihn pflegen, wenn der Faden hält.« Der kleine Knopf war dem größeren immer zu Diensten und murrte niemals über die Schwere des frontmans, den er jetzt sehr vermisste, der immer eine gute Figur abgeben sollte, darin lag sein persönlicher Ehrgeiz.

 Der Knopf, der frontman seinerseits war im Geröll gelandet. Er hing im Wurzelgeäst und eine Tannennadel hatte ihn aufgespießt. Er fragte sich, ob auch sein Gegenpart mit ihm zusammen abgefallen war. Dann spürte er eine Regung auf seine Existenz: »Ich bin der Schuldige«, sagte der Weg unter ihm. »Wäre ich trockener, wäre der Mensch nicht ausgerutscht, wärest du nicht verloren gegangen.« »Dummkopf«, sagte der Berg zum Weg. »Du bist ein Weg schwieriger Kategorie. Dieser Mensch, der seinen Knopf verloren hat, hat in Wirklichkeit seinen Kopf verloren. Er ist nicht mehr sportlich genug für dich. Er kann das Gleichgewicht nicht halten und musste einmal wie ein Hund und einmal wie ein Krebs kriechen.« »Aber es ist ihm ja nichts passiert«, antwortete der Weg, »nur der Knopf ist jetzt hier. Vielleicht wird der Mensch zurückkommen und ihn suchen. Wir werden ihn an einer sichtbaren Stelle positionieren.«

 »Wenn ich nicht gefunden werde«, sagte der Knopf, »muss man alle Knöpfe an der Jacke erneuern, weil es unsere Kollektion schon lange nicht mehr gibt.« Da schüttelte sich der Berg vor Lachen, sodass ein Kiesel den Knopf von der Tannennadel streifte und ihn ein Stück mit hinunter nahm. »Wenn wir dich hinunter zum Ort schaffen«, sagte der Weg, »wirst du vielleicht wieder gefunden. Ich bewirke das mit meinen Kräften, den Kieseln, sie rollen mit dir hinab. Aber sie sind nicht vorsichtig. Du musst es sein.« Und wieder lachte der Berg und brachte den Knopf mit den Kieseln zum Rollen. »Ich war eigentlich schon locker«, rief der Knopf, als er von Vorsprung zu Vorsprung hüpfte. »Zwar besaß ich einen Staybutton, der alles tat, mir Halt zu geben, aber wenn die gesamte Angelegenheit aus dem Faden läuft...?« Wieder lachte der Berg und wieder kam das Geröll in Fahrt und der Knopf hüpfte von Vorsprung zu Vorsprung. Am Ende landete er auf dem Weg vor dem örtlichen Bergverein.

 Als am nächsten Tag der Pensionär aus der Tür des Bergvereins trat, dem er etwas gespendet hatte, zur Unterstützung der Sanierungsmaßnahmen der Wege – und er hatte speziell auf den Wanderweg aufmerksam gemacht, auf dem er gestern abgestiegen war –, lag vor seinen Füßen der Knopf. Erstaunt hob er ihn auf und steckte ihn unauffällig in seine Tasche. Im Bergverein hatte man ihm erklärt, sein Weg gehöre einer schwierigen Kategorie an. Und er hatte wohl erkannt, dass man da etwas verlegen auf sein Alter anspielte. Hatte sich selbst aber nichts anmerken lassen. Dennoch hatte man auch zugegeben, dass einige Stufen neu angelegt werden müssten. Es gäbe sehr engagierte junge Menschen, die dem Verein bei der Wegsanierung halfen. Das hieß wohl, dass sie nicht bezahlt würden, was ihn traurig stimmte. Andererseits war er auch sehr stolz auf die jungen Menschen, die sich ohne Wenn und Aber für die Wege engagierten.

 Er ging in seine Pension zurück und bat die Wirtin um Nadel und Faden, um den wieder gefundenen Knopf an die Jacke zu nähen. Er zog die Jacke aus und setzte sich mit Nähzeug und Jacke ans Fenster. Er trennte zuerst den Gegenknopf ab und legte ihn neben den Hauptknopf, wie er ihn jetzt nannte, auf das Fensterbrett. Er sah aus dem Fenster auf den geliebten Berg. Dann fädelte er den Faden in die Nadel, was ihm gut gelang. »Diese beiden sind ein starkes Team«, dachte er. Nur seiner Nachlässigkeit war es zu verdanken, dass sie getrennt worden waren. Aber nun konnte er das wieder gutmachen. Mit diesem Gedanken schlief er ein, ohne genäht zu haben. Plötzlich hörte er den Berg in ein großes Gelächter ausbrechen. Daraufhin erhob sich der Gegenknopf, nahm den Hauptknopf bei der Hand und sie schwebten hinaus aus der Tür des Hauses, die leere Straße entlang. »Wohin geht es denn«, fragte der Pensionär und folgte ihnen leicht und beschwingt. »Wir wissen, wo es

gute Bedingungen gibt«, sagten die beiden fröhlich, »für dich. Wir spüren ja, wie du nachdenkst, wenn etwas gepflegt werden muss, der Button vom Staybutton, die Wasserausleitungen von den freiwilligen Helfern, die Pflanzen vom Gärtner und so weiter. Du suchst eine gute Pflege, weil es bald Zeit auch für dich ist. Und sie brachten ihn zu einem großen Haus, das er noch nicht gesehen hatte. Die Türen des Hauses öffneten sich und eine Hand streckte sich ihm entgegen und er wurde hineingebeten. Eine Gruppe von Frauen und Männern verschiedensten Alters empfing ihn und bat ihn auf einem sehr schönen Stuhl Platz zu nehmen. Sie lächelten ihn an und sagten, dass alles bereit sei für seine Ankunft und prophezeiten, dass er sich hier wohl fühlen werde. Jemand aus der Gruppe trat auf ihn zu, nahm seine Hand, schaute ihm in die Augen und lächelte ihn an. »Wir sind hier das Pflegepersonal«, sagte er. »Wir kennen uns, denn wir sind alle von derselben Art – wie Knopf und Gegenknopf. Der eine hält den anderen nur scheinbar, denn wichtiger ist, dass sie gut miteinander auskommen. So werden wir zusammen funktionieren. Schauen Sie diesen Ort an, er ist dazu da, anzukommen. Er hält Platz für alle Erinnerungen bereit. Sie können hier in Ruhe vor Anker gehen. Die Spiegel zeigen ihnen an manchen Tagen Ihr Leben und sie werden sich wohl fühlen darin. Die Korridore führen in die Nähe, die Fenster in die Weite. Sie hören Musik. Es werden Worte an Sie gerichtet, sie werden empfangen. Sie spüren die gute Luft.« Sie spendeten ihm jetzt Beifall dafür, dass er sich hierher auf den Weg gemacht hatte. »Sie fragen sich sicher, was hier geschehen wird?«, sagte eine Frau, die sich aus der Gruppe gelöst hatte und auf ihn zutrat. Sie war mittleren Alters und reichte ihm ein Glas Wasser. Sie sagte: »Wir lernen einander kennen und leben hier zusammen.« Wieder trat eine der Frauen aus der Gruppe heraus. »Wir nehmen in unsere Verantwortung, die Bedingungen zu schaffen, dass wir alle gut miteinander umgehen und einander verstehen. Das ist nicht immer leicht, aber immer ist es zum Guten. Niemand hat einen Grund, einem anderen etwas nachzutragen, wenn er ihn verstanden hat. Wenn wir einander verstehen, können wir auch streiten ohne Schmerz. Jeder ist der, der er ist, eine Persönlichkeit.« »Manch einer der Bewohner arbeitet im Garten und beschäftigt sich mit den Pflanzen, vielleicht wäre das auch etwas für Sie«, sagte ein kleinerer Mann. Der Pensionär nickte und wurde in den Garten geführt. »Wenn Sie etwas nicht können, nehmen wir sie bei der Hand. Sie werden erfahren, dass das kein Problem ist, und darauf kommt es auch an, dass das kein Problem ist.« »Sie verstehen, was wir meinen«, sagte eine andere Frau. Ob Sie nun in der Rolle des Pflegers sind oder in der des Bewohners. Sie wissen jeweils, was zu tun ist und was gebraucht wird. Wenn Sie etwas vergessen, werden Sie daran erinnert.« Manche der Bewohnerinnen und Bewohner waren sehr alt. Sie sahen ihm in die Augen und grüßten ihn. Gehören Sie nicht zu uns?«, fragte ein Mann, der sehr schick aussah, kommen Sie zu unserem Nachmittagssingen. Sie werden sich an unsere alten Lieder erinnern.« »Danke«, sagte der Pensionär mutig, da es ihm nicht leichtfiel, etwas abzulehnen, »aber Singen, das ist nichts für mich.« Und der andere sagte, »Na, dann findet sich etwas anderes, wir sind hier frei, und das ist das Schönste«. Der Pflanzenkundler spürte, dass etwas im Gange war. Etwas, das ihn freudig erregte. Sicher war es interessant, die Natur zu beobachten, die Gärten und Wiesen, die Berge und Gewässer. Aber das Aufregendste war doch das Zusammenleben der Menschen. Diese Menschen hier hatten etwas, das dieses Zusammensein attraktiv machte, selbst wenn man dieses und jenes Dilemma mit sich herumtrug. »Hier gibt niemand auf«, sagte die Pflegerin, die seine Überlegungen zu erraten schien. »Sie können Musik machen, Sie können malen und Sport treiben, Sie können in den Garten, Sie können eben aktiv sein. Aber Sie brauchen keinen Stress, wie auf Ihrem gestrigen Abstieg, Sie tragen hier keine besondere Verantwortung. Sie können loslassen. Es gibt keine hohen Anforderungen an Sie und trotzdem werden Sie in der Welt sein, mit uns, mit all ihren Sinnen. Dafür sorgen wir.«

Die Menschen, denen er hier begegnete, kamen auf ihn zu, als wäre er ein alter Bekannter. Und jetzt verstand der Pflanzenkundler: Käme er hierher, in dieses Haus, käme er nach Hause. »Kommen Sie bald wieder«, sagte die Frau, die ihm das Glas Wasser gegeben hatte, als er sich an der Tür fand.

Er hielt plötzlich wieder die Knöpfe in der Hand. »Wie heißt dieses Haus hier?« fragte er die Frau an der Tür. »Wir heißen Staybutton«, antwortete sie. Da wachte der Pensionär auf, ergriff Nadel und Faden und nähte seine beiden Knöpfe an die Jacke. »Ich danke euch«, sagte er. »Eines Tages werden wir dieses Haus finden und dort einziehen.«



 © Doris Paschiller, 2012

 

 



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