Tusclum (Anna Arnskötter)

TUSCULUM


ANNA ARNSKÖTTER


DAS GEHEIMNIS DER MITTE



Das Schiff ist aus den Wellen in die Höhe gestoßen.

 

Es gibt eine Reihe dieser Schiffe unter den Skulpturen von Anna Arnskötter, und sie führen hermetisches Schweigen mit sich, geformt als blinde Fenster und glatte Haut der Schwimmgehäuse. Das Schiff gibt auch Zeichen gleitender Beweglichkeit und zeichnet einen fernen Horizont, an dem der Blick entlangfahren kann.

 

Vielleicht ist es das Schiff, das uns einlädt zu reisen, auf einer imaginären Landkarte, auf der imaginäre archaische Orte sich miteinander verschränken.

 

Auf dieser imaginären Landkarte verbinden sich Gehäuse mit der Wellenbewegung des Wassers. Die Wellen erscheinen als Wälle, die die Gehäuse umgeben, oder die sich in die Gehäuse eingraben, die ebenso blind und ebenso schweigsam sind. Aus dieser mehrfachen Verdunkelung ergab sich die Konsequenz des Verschwindens jeglicher Mensch-Figur. Schweigen und Verschwinden sind eins.

 

Die Bildhauerin nimmt in ihrer Arbeit eine Phase des Übergangs wahr: Eine menschliche Figur, die sich in eines der Gehäuse verirrt hatte, ist wieder entfernt worden, musste entfernt werden. Denn etwas anderes, auf das wir gleich stoßen werden, benötigt hier den ganzen Platz.

 

Wir können im Speicher ein Geräusch vernehmen, stecken wir unseren Kopf hinein, einen Klang, der jedoch den Raum nicht erklärt. Eine Tür ist dort zu sehen, die eine Abwesenheit bewahrt. Ein Nichts im Innern wird vorgezeigt und Aufgetürmt genannt. Seltsamer Sog der Geheimnisse, der uns schließlich nach Innen zieht, in eine Mitte: Wie ein Strudel führt die Blindheit der Blöcke, des Hauses, der Kammer, der Wälle in eine Mitte. Und diese Mitte können wir jetzt ohne Zögern mit dem behaglichen Ort, namens Tuskulum in Verbindung bringen.

 

Wo wir ankern oder bauen, wohnen oder pflanzen, wird ein Raum begrenzt und eine Mitte geschaffen. Der Garten, eine Umfassung, die Kammer, eine Umwölbung, der Speicher, eine Komprimierung, die Insel, eine Isolation, das Schiff, ein Gefäß, sie alle enthalten das Gewicht der Mitte, das Gewicht der Behaglichkeit. Zentralen, an denen auch wir mitunter ankommen, Hinterlassenschaften, die uns wesentlich sind, während wir die Orte miteinander verknüpfen.

 

Die scheinbare Verbohrtheit, mit der wir immer wieder nach den Ursprüngen verlangen und immer auch dem Vergehen, dem Tod auflauern, hat wohl den ebenso ursprünglichen Sinn, Gleichgewicht in der Räumlichkeit der Erde zu finden. Die Mitten sind die Geheimnisse unserer Existenz, die fraglose Geborgenheit. Und insofern die Geheimnisse damit drohen, sich in Nichts aufzulösen, werden sie verschleiert, erhalten listige Pfade und Öffnungen.

 

Während wir unsere Zentralen verlassen und unsere Entfernungen weiter vorantreiben, geschieht die Einräumung des Raumes, die punkt- und netzförmige Erschließung der Erde. Die Einräumung des Raumes sollte ein Schaffen von Mitten sein.

 

Das Schiff, auf dem wir uns hier bewegen, eine bewegliche Mitte, bringt uns auch auf den Fluss, der durch fast jegliche Stadt fließt, in der Tiefe unter den Straßenzügen. Tritt der Fluss weit über die Ufer und überschwemmt Wasser die Stätten, bleibt nur noch das angehobene Schiff. Das Schiff auf dem Wasser und das herausragende Haus am Fluss, halten den Augenblick der Behauptung fest.

 

Warum macht sich die Bildhauerin aber die Mühe, heikle, unfassbare Wellen in Beton zu gießen, nachdem die Figur aus den Gehäusen verschwunden ist? Der Fluss, wie er sich an das Haus wirft, ist ein zwingendes Element. Das Haus am Fluss ist ein Kosmos im Chaos. Schauen wir noch einmal dorthin, wo die Welle als Treppe in das Gehäuse hinabführt, als heilige Kaskade. Geheimnis heißt, jemand ist noch am selben Ort.

 


© Doris Paschiller



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